Die
Kirchen Nietlebens
Granauer Kirche
Die heute noch vorhandene Kirchenruine ist der Überrest einer im Saalkreis
mannigfach anzutreffenden Kirche im romanischen Baustil. Granau war eine
slawische Siedlung, die um 800 u.Z. entstand. Der Ort lag nördlich des
Granauer Friedhofs. Die heidnisch gesinnten Bewohner verehrten zwar Donar,
an den Bau einer Kirche dachte jedoch niemand. Zwischen 1150 und 1200
erschien das Kloster Neuwerk, um die Bevölkerung zum Christentum zu
bekehren. Das Kloster errichtete einen Gutshof und eine Kirche. 1182 wurde
das so genannte „Vorwerk“ erstmals urkundlich erwähnt. 1278 wurde Granau
zerstört. Ein Teil der Bevölkerung floh und siedelte sich im nahe gelegenen
Nietleben an. 1636 wurde der Ort abermals niedergebrannt. 1654 wurde die
Kirche wieder aufgebaut. 1662 erhielt sie einen neuen Turm. Bereits 1724
musste sie ausgebessert werden, da sie nicht auf sonderlich festem Grund
gebaut worden war. Die 1738 gegossene Glocke wurde deshalb in der „uralten“
Schule in der Eislebener Straße aufgehängt. Im 18. Jahrhundert wurde der
Saalbau nochmals ausgebessert, 1886 wurde die Kirche schließlich aufgegeben.
Man deckte die baufällige Kirche ab und gab sie der Zerstörung preis. 1903
standen nur noch Mauern und Turm. Dich die Kirche musste bleiben, denn so
lange sie stand, musste die Grube „Neuglück“ an die Gemeinde zahlen. 1923
wurde die Kirche unter Wahrung ihres Ruinencharakters als Friedhofskapelle
umgebaut. Von der Granauer Kirche existiert kein Bild. Das Bauwerk ist nur
an Hand überlieferter Beschreibungen zu rekonstruieren. Das Gotteshaus war
eine einfache Saalkirche. Das Kirchenschiff war mit einem Satteldach bedeckt
und hatte einen viereckigen Westturm. Die Tür befand sich an der Nordseite.
Die Südseite hatte drei lange Fenster. Der Altar stand im Westen, was als
Merkwürdigkeit anzumerken ist, da er sonst üblicherweise im Osten steht. Das
Innere der Kirche war mit einer 10-registrigen Waldner-Orgel ausgestattet.
Ein lebensgroßes Kruzifix hing gegenüber der Eingangspforte. 1723 wurde ein
schönes Taufbecken installiert, das ein schwebender Engel hielt, der an
Stricken von der Decke herabgelassen werden konnte. Die von Efeu umrankte
Kirchenruine ist ein Ort der Stille und Einkehr und birgt heute ein
kulturhistorisch wertvolles Mahnmal für die Opfer des ersten Weltkrieges.
Selten ist ein so weihevoller und ehrwürdiger Platz den Gefallenen geweiht
worden. Hier, wo Väter, Großväter und Vorfahren der Gefallenen Taufe,
Einsegnung und letzte Ruhestätte empfingen, ist den toten Söhnen Ehre zuteil
geworden. Es ist keines der sonst üblichen Denkmalsarten. An der Ostwand der
dachlosen Ruine erhebt sich so breit wie das Kirchenschiff ein Altartisch.
Aus ihm recken sich nach links und rechts sich stufenförmig verkleinernde
länglich viereckige Steinblöcke, auf denen die Namen der 150 gefallenen
Krieger eingezeichnet sind. Der Steinblock des Altars enthält die Inschrift:
„Die einst fielen im Feld, der Heimat die Treue haltend, sind nun
unsterblich gereiht den Helden und Vätern der Vorzeit.“ Das Denkmal ist ganz
aus grauem Kalkstein, wirkt daher massig und ernst. Prof. Niemeyer von der
Kunstgewerbeschule in Halle entwarf es. Der Bildhauer Schubert bearbeitete
das Steinmaterial, während der Maurer- und Zimmermannmeister Schopp die
Ruine ausbesserte. Am 31. August 1924 wurde das Denkmal feierlich
eingeweiht.
Kirche der Landesheilanstalt
Die Landesheil- und Pflegeanstalt Nietleben besaß ab 1864 eine eigene
Kirche. Sie wurde nach einem Entwurf von Friedrich August Ritter errichtet.
Sie war ein schlichter Anstaltsbau im Rundbogenstil mit schlankem
oktogonalem Westturm. Der Turm hatte ehemals ein weiteres Geschoss mit
Klangarkaden und Spitzhelm. Baumeister waren die Dölauer Fichtenwalder und
Wagner. Die Kirche hatte eine 366 Pfund schwere Glocke mit der Inschrift
„Ehre sei Gott in der Höhe“. Die erste Orgel stammte vom Orgelbauer Waldner,
die zweite war eine Rühlemann-Orgel. Über die seelsorgerische Arbeit der
Anstaltspfarrer ist wenig bekannt. In der Anfangszeit hatte Pfarrer Krause
als Hilfsprediger die Aufgaben übernommen. Dann folgten Pfarrer Biedermann
und Heilmann. Letzterer war erster hauptamtlicher Anstaltspfarrer. Dann
hatten Pastor Schulz, Emmelmann, Georgi, Dorfpastor König aus Nietleben und
schließlich Pastor Naucke das Amt inne. In der Umgebung und auf dem Gelände
der Heilanstalt wurde ab 1934 die Heeres- und Luftwaffennachrichtenschule
mit großem Militärflugplatz errichtet. Deshalb wurde im Juli 1935 die
Anstalt aufgelöst. Ihre Gebäude blieben bestehen und wurden in den
Kasernenbau integriert. Im Zuge der Errichtung des Flugplatzes wurde der
hohe spitze Turm abgerissen. Die Kirche hat den Bau der
Heeresnachrichtenschule und die Benutzung des Geländes durch die
sowjetischen Streitkräfte überstanden. Der Innenraum der Kirche wurde wie
auch der neben der Kirche befindliche Festsaal als Turnhalle zweckentfremdet
genutzt.
Nietlebener Kirche
Der Bau der Nietlebener Kirche fiel in die Zeit, in der „Kirchennot“
herrschte. Zu groß war das durch die Industrialisierung hervorgerufene
Bevölkerungswachstum, als dass die vorhandenen Kirchen für die Kirchgänger
ausreichten. Der Bau der Kirche wurde notwendig, weil die bis dahin genutzte
Kirche auf dem Granauer Berg zu klein wurde und schon längst baufällig war.
1884 wurde der Bau begonnen und zwei Jahre später vollendet. Der Entwurf
stammte vom Königlichen Baurat Otto Kilburger, der auch Architekt
zahlreicher Universitätsgebäude, wie dem ehemaligen Uni-Klinikum am Domplatz
4 und dem Physikalischen Institut. Es war der Versuch Kilburgers, den
protestantischen Bau einer Zentralkirche, im 17. Jahrhundert erdacht, neu zu
beleben. Der rote Backsteinbau im neoromanischen Stil wurde auf achteckigem
Grundriss errichtet. Das Achteck steht für Harmonie, ähnlich wie die Oktave
in der Musik. Die terrassenförmige Baugestaltung ist nicht oft zu finden und
zeigt außen reiche Lisenen-, Blendund Bogenfriesgestaltung in stilistischer
Anlehnung an Bauten der oberitalienischen und rheinischen Spätromanik. Die
Großform verrät Anlehnung an byzantinische und karolingische
Architekturvorbilder. Der achteckige Bau hat sich als zweckmäßig erwiesen.
Kein Sitzplatz ist weit von der Kanzel und dem Altar entfernt. Die Kirche
bietet im Schiff und auf den Emporen rund 700 Personen Platz. Die
Nietlebener Kirche stellt somit etwas Besonderes unter den halleschen
Kirchen dar. Am 2. März 1886 meldete das „Hallesche Tageblatt“, dass „die
neue Kirche im Rohbau nunmehr vollendet sei“. Weiter heißt es: „Die Kirche,
auf freiem Platze mitten im Dorf gelegen, macht in ihrer jetzigen Gestalt
schon einen imposanten Eindruck und wird nach ihrer Vollendung der Gemeinde
zur Zierde gereichen.“ Über die Bauausführung heißt es: „Von außen Rohbau
mit schlankem Turm, ist sie im Innern einfach, aber ansprechend gestaltet.“
Teile des Inventars der Granauer Kirche wurden in die Nietlebener
übernommen. Die Nietlebener ließen sich den Bau der neuen Kirche 60 000 RM
kosten, die aus Gewinnen der Grube „Neuglück“ aufgebracht wurden. Die
feierliche Einweihung fand am 28. Oktober 1886 statt. Die erste Predigt
hielt Pfarrer Weigelt aus Lettin, zu dem damals Nietleben noch gehörte.
Lettin war Pfarrdorf. Am 13. April 1890 erfolgte die Einführung des
bisherigen Hilfspredigers Friedrich König als Pfarrer. Damit wurde Nietleben
selbständige Kirchengemeinde. Der Glockenturm beherbergte ursprünglich 3
Bronzeglocken, von denen 2 ein Opfer des ersten Weltkrieges wurden. Die 3.
noch vorhandene Glocke wurde als Läuteglocke verkauft. Seit 1922 ist er mit
3 Stahlglocken (F-Moll-Geläut) ausgestattet, die einen harmonisch
abgestimmten sonoren Dreiklang in den Tönen F, As und C ergeben. Die
Nietlebener behaupten, die Kirche hat das schönste Geläut weit und breit.
Die Kirche beherbergt keine großartigen Kunstschätze bis auf das lebensgroße
Kruzifix von 1702, das aus der Granauer Kirche übernommen wurde. Seit
Bestehen der Kirche haben die Pfarrer Weigelt, König, Kästner, Martin und
Manfred Richter, Pastorin Fuhrmann sowie Pastorin Weihe hier Dienst
versehen. |