Die
Landwirtschaft Nietlebens 1945 bis 1990
Nietleben war bis Anfang des 19. Jahrhunderts ein reines Bauerndorf wie die
meisten Orte des Saalkreises. Mit der Entdeckung der Braunkohle zwischen
Ortslage und Heiderand und der einsetzenden Industrialisierung vollzog sich
eine Wandlung zur Industriegemeinde. Die Landwirtschaft trat zunehmend in
den Hintergrund. 1945 gab es in Nietleben klein- und mittelbäuerliche
Betriebe. Einige dieser Höfe existierten seit vielen Jahren und waren von
Generation zu Generation weitergegeben worden. Die Bauern waren mit ihrer
Scholle tief verwurzelt und von Natur aus konservativ eingestellt. Das
Besitzdenken war stark ausgeprägt. Für die Bauern war es unvorstellbar, Haus
und Hof aus der Hand zu geben. Alteingesessenen Bauernhöfe gab es in der
Quellgasse: Beßler (Nr. 29), Plato (Nr. 32), Baufeld (Nr. 26), von denen
sich lediglich der Hof von Bauer Beßler über die Kriegsjahre gerettet hatte.
In der Eislebener Straße waren die Gehöfte von Bauer Koch (Nr. 75), Franke
(Nr. 77) und Ziegler (Nr. 86) zu finden. Hinter dem „Goldenen Stern“
existierte noch die Wirtschaft von Bauer Großmann. Das größte Gut am Ort
befand sich am Dorfplatz und gehörte Bauer Rammel.
Im Ortsteil Granau gab es eine Reihe kleinbäuerlicher Wirtschaften, die alle
im Zuge der Abwicklung von Gut Granau in den Jahren 1930 bis 1934 auf
Initiative der Siedlungsgesellschaft Sachsenland entstanden waren: Weineck,
Wilke, Göricke, Naumann, Osther, Laue, Werthmann, Megel, Becker. Mit
Ausnahme der Höfe von Weineck und Wilke besaßen sie alle eine Größe von 45
Morgen. Die Wirtschaften von Weineck und Wilke waren größer. Beide teilten
sich auch das große Gutshaus.
Der Krieg hatte auch in Nietleben seine Spuren hinterlassen. Die Äcker lagen
brach, die Männer fehlten teilweise auf den Höfen, den bäuerlichen
Wirtschaften mangelte es an Zugtieren. Mit dem Ausgang des Krieges 1945 war
die Landwirtschaft im Osten Deutschlands ein Blatt weißes Papier. Der
bisherige Ordnung sollte etwas völlig Neues entgegengesetzt werden. Mit der
Stunde Null begann auch in Nietleben das gesellschaftliche Großexperiment
mit Mensch und Tier.
Bodenreform
Die Alliierten hatten die Enteignung des 100 Hektar übersteigenden und
Kriegsverbrechern, Junkern und aktiven Hitlerfaschisten gehörenden Bodens im
Schlussdokument des Potsdamer Abkommens fixiert. Am 3. September 1945 erließ
die Provinzialverwaltung Sachsen-Anhalts die erste Verordnung über die
Durchführung der Bodenreform. Danach erhielten Landarbeiter und landlose
Bauern, landarme Bauern, Kleinpächter, Arbeiter und Handwerker Land. In
Nietleben kamen als Neubauern die Wirtschaften von Müller und Wagner hinzu,
letzterer ein diplomierter Landwirt, der bisher in der Waldstraße 26
ansässig war. Bauer Flad, ein Umsiedler aus den ehemaligen Ostgebieten,
erhielt Land und stellte damit den einzigen Neuzugang in Nietleben dar.
Aller Anfang war schwer. Es gab beträchtliche Unterschiede zwischen den
Bauern. Nicht jeder hatte die komplette Ausrüstung und die notwendigen
Erfahrungen, um Land zu bestellen. Vor allem mangelte es an Maschinen und
Zugtieren. Die mechanische Unterstützung der schweren Landarbeit kam nur
zögerlich in Gang, die körperliche Arbeit herrschte vor. Doch 17 Millionen
Menschen wollten und mussten verpflegt werden. Deshalb wurde in der
damaligen
sowjetischen Besatzungszone für alle Bauern ein Ablieferungssoll eingeführt.
Ein Teil der Erträge musste nun abgeführt werden. Für die Neubauern war das
Soll geringer als für dieAltbauern. Dennoch waren die Bauern bei dem ohnehin
schon schweren Landleben überfordert. Oftmals war das Soll sogar
existenzbedrohend.
Kollektivierung
Mit der Bodenreform waren wieder Eigentümer, „Kleinkapitalisten“,
entstanden, die nicht in das Konzept der neuen Gesellschaft passten. Deshalb
erfolgte 1952 ein Kurswechsel. Die Partei setzte auf landwirtschaftliche
Großbetriebe nach dem Vorbild der Sowjetunion. Diese sollten Musterbetriebe,
sog. „Leuchttürme des Sozialismus auf dem Lande“ werden. Man ging zur
Bildung von Genossenschaften mit dem Kürzel LPG über. Ziel war, hohe Erträge
durch Industrialisierung der Landwirtschaft zu erreichen. Dabei erfolgte die
Bildung der Genossenschaften durchaus auf freiwilliger Basis. Der Beitritt
versprach Vorteile, u.a. ein geringeres Ablieferungssoll. Auch in Nietleben
entstand eine LPG, erster Vorsitzender war Bauer Müller. Nun passten die
Privatbauern nicht mehr ins Gesicht der Gesellschaft. Sie wurden zu Feinden
des Sozialismus und als Ausbeuter zu Menschen zweiter Klasse erklärt. Ihnen
wurde das Leben schwer gemacht. Sie erhielten höhere Auflagen. Wer sein Soll
nicht schaffte, wurde bestraft. Für manche war die Flucht in den Westen der
letzte Ausweg. Auch Nietlebener Bauern verließen die DDR. So die Bauern
Becker, Rammel und Weineck.
Es kam das Jahr 1953. Die DDR steckte in einer Krise. Nach dem 17. Juni
wurden die Maßnahmen gelockert bzw. zurückgefahren. Den in den Westen
geflüchteten Bauern wurde sogar die Möglichkeit eingeräumt, zurückzukehren,
ohne Repressalien befürchten zu müssen. Bauern traten sogar wieder aus der
LPG aus. In den folgenden Jahren wurden die Einzelbauern im Allgemeinen in
Ruhe gelassen. Die Kollektivierung ging nur schleppend voran, so dass es
schien, als würde es noch Jahre dauern, bis der letzte Einzelbauer in die
LPG eintritt.
Schafzucht in Nietleben
Anfangs als „Schafhaltergemeinschaft“ über die BHG geführt (1947 bis Anfang
der 1950er Jahre), Mitglieder hatten noch Privatschafe, die mit betreut
wurden. Mit der LPG-Gründung kam es dann zur Trennung zwischen
Landwirtschaft und Tierproduktion. Schäfer Werner Taubert (bis 1990 aktiv)
blickte auf 45 Berufsjahre zurück. Seine Meisterprüfung legte er 1960 ab
(mit 29 Jahren). Sein Großvater war seit 1886 Schäfer. Seine Herde umfasste
durchschnittlich 500 Schafe, davon 220 Muttertiere, gezüchtet wurden v.a.
Marino-Schafe (Woll- und Fleischschafe), wobei die Wollgewinnung im
Vordergrund stand. Er führte seine Schafzucht gemeinsam mit seiner Frau
(Prüfung ehrenhalber verliehen) und bildete einen Gesellen aus (Helmuth Koth
– begann seine Lehre erst in Merbitz). Die Ställe waren an der Kreuzung
Zscherbener Straße am jetzigen Standort SEAT-Brömme. Dort war früher auch
die Kraftanlage (Lichtzentrale mit Dynamo) und die Kohlebahn
(„Kaffeetrichter“ - bis in die 1930er Jahre). Später waren die Schafe in
Granau untergebracht. Die Schafzucht war keineswegs einfach: Der Bergbau
hatte große Auswirkungen auf den Wasserhaushalt, des Weiteren entstanden auf
den Weideflächen zahlreiche Brüche durch die Kohleschächte.
Die Flugasche des Zementwerks beeinträchtigte die Fruchtbarkeit der Schafe.
Auf dem ehemaligen Rammelschen Gut wurden in den 1950er Jahren „Uninette
Karakulschafe“ von der Universität Halle stationiert und gezüchtet, die
Schafe wurden bereits als Jungtiere für die Pelzgewinnung (Persianermäntel)
getötet. Schäfer waren Herr Schulze und später Herr Bauer. |