PERSONEN DER HEIMATGESCHICHTE:
SIEGMAR BARON VON SCHULTZE GALLÉRA
Quelle: D. Schermaul in: Vereinszeitung des Nietlebener Heimatvereins e.V. -
Ausgabe Nr. 4 (2005)
Siegmar von Schultze-Galléra - ein Name, der heutzutage leider vielen
Menschen unbekannt ist. Dabei galt der Mann zu Lebzeiten als einer der
bedeutendsten Stadtchronisten und Heimatforscher Halles. Mit seinem
umfangreichen Werk lieferte er einen bedeutungsvollen Beitrag zur Aufdeckung
der Vergangenheit unserer Umgebung. Kaum einer, der sich intensiver mit der
Geschichte Halles und des Saalkreises befasst, kann Schultze-Galléras
Schriften übergehen. Wer war dieser Mann, und worin liegt noch heute die
Bedeutung seines Lebenswerkes?
Biografie
Eigentlich hieß er Siegmar Schultze. Durch spätere Namensadoption wurde
daraus Siegmar Baron von Schultze-Galléra. Er wurde am 6. Januar 1865 in
Magdeburg geboren. Sein Vater war Leiter der Kommunalaufsicht im
Regierungspräsidium in Magdeburg und stammte aus dem Saalkreis. Seine Mutter
war die Tochter eines Bildhauers vom Bodensee, der im Magdeburger Dom und
andere Gebäude restaurierte.
Er hatte zwei Geschwister. 1874 legte er die Aufnahmeprüfung am Pädagogium
"Unser Lieben Frauen" ab. Nach glänzend bestandenem Abitur verließ er 1884
seine Heimatstadt und übersiedelte nach Halle, um im Sinne der
Familientradition den Beruf eines Oberlehrers zu ergreifen. Zu diesem Zweck
nahm er ein Stadium in Germanistik und Literatur auf. Das Probejahr für den
Schuldienst absolvierte er am halleschen Stadtgymnasium. 1887/88 promovierte
er im Fach Germanistik. Schultze-Galléra ging danach nicht in den
Schuldienst, er blieb an der Universität, wollte habilitieren, strebte eine
akademische Laufbahn an. Nach drei Jahren Lehrbefugnis an der Universität
begann er zu schreiben. 1892 konnte er die Habilitation zum Privatdozenten
mit Auszeichnung ablegen. Von 1892 bis 1932 hatte er die Stelle eines
Privatdozenten für Neuere und Moderne Literatur an der Universität Halle
inne. 1893 heiratete er Lazy Lözius, deren Familie das spätere
Walhalla-Theater am Steintor gehörte. Sie gebar ihm drei Söhne und zwei
Töchter. Von 1896 bis 1899 hielt er sich zwecks Studiums des Schaffens
Goethes in Weimar auf. Nach seiner Rückkehr nach Halle kaufte er das Haus
Friedensstral3e 14. Mit seiner Schrift über die innere Entwicklung des
jungen Goethe hatte er wenig Erfolg. Das Werk wurde von der Fachwelt
abgelehnt. Seine Berufung zum Professor blieb aus. So blieb er sein Leben
lang Privatdozent. Ab 1910 wandte er sich von der Germanistik ab und
konzentrierte sich auf sein Interessengebiet Geschichte. Hier endlich hatte
er Erfolg, den er sich immer erhofft hatte. 1912 erschien sein erstes
heimatgeschichtliches Werk "Geschichte des Saalkreises". 1919 nahm er einen
erneuten Ortswechsel nach Nietleben in die Eislebener Straße 70 vor, wo er
bis zu seinem Lebensende wohnte. 1941 erkrankte er schwer. Schultze- Galléra
starb am 15. September 1945. Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem
Granauer Friedhof.
Der Mensch Schultze-Galléra
Schon als Kind wurde er im Sinne preußischer Zucht und Ordnung erzogen.
Werte wie Pünktlichkeit, Sauberkeit und Sparsamkeit spielten in seinem
ganzen Leben eine große Rolle. Großen Einfluss auf seine Entwicklung übte
die Großmutter aus, die ihm immer wieder Geschichten über die Vorfahren
seiner Familie erzählte. In der Schule gehörte er zu den besten Schülern und
zeigte schon frühzeitig eine dichterische Ader. Die Vorliebe für Ausflüge zu
historischen Stätten und Heimatgeschichte hatte er von seinem Vater. Schon
als Student unternahm er zahlreiche Exkursionen in den Saalkreis, besonders
in die Archive in Wettin, Krosigk und Giebichenstein. Als Jüngling legte er
sich spartanische Zucht auf. Über seiner Tür stand "Nichts bedürfen ist
göttlich". Er genoss Brot und Salz und Wasser zu Abend. Er unternahm
Wanderungen ohne einen Pfennig Geld in der Tasche, so dass er nirgends
einkehren konnte. Wandern war für ihn die schönste Schule für Körper und
Geist. Jegliche Art von übermäßigem Lebensgenuss und Verschwendung waren ihm
zuwider. Er hielt am einfachen, bescheidenen und zurückgezogenen Leben fest.
Von Zeitgenossen wurde er als eitel, mitunter rechthaberisch und sehr
selbstbewusst beschrieben. Schultze-Galléras Leben war sehr kämpferisch,
auch wenn er sich von der Öffentlichkeit zurückgezogen hat. Er pflegte
Umgang mit jüdischen Familien wie z.B. Prof. Cantor. Er selbst war mit einer
Jüdin verheiratet. Wahrend der Nazizeit gehörte er zum
Wentzel-Widerstandskreis. Drei Tage nach der Machtergreifung Hitlers legte
er seine Dozentur an der Universität nieder. Schultze-Galléra werden
antisemitische Außerungen in drei seiner Werke vorgeworfen. Nach den
angelegten Maßstäben wäre auch Martin Luther als Antisemit zu bezeichnen.
Genauso müssten wir Karl Marx abschwören. Schultze-Galléra lebte
zurückgezogen in der Stille seiner mit Antiquitäten und Büchern
vollgestopften 10-Zimmer-Wohnung in der Eislebener Straße. An großen
Gesellschaften und Festen fand er keinen Gefallen. Nur für Wanderungen
durchbrach er die Abgeschiedenheit. Hier schuf er sein Lebenswerk.
Charakteristisch für Schultze-Galléras Arbeitsweise waren der enorme Fleiß
und eine einzigartige Findigkeit, mit der er selbst die entlegenste Quelle
aufspürte. Auf seinem Grabstein ist eingemeißelt "vir priscus"(ein Mann der
alten Art).
Schultze-Galléra 's Lebenswerk
Das Schaffen Schultze-Galléra's umfasst 27 Bücher, eine Vielzahl Monografien
zur halleschen Geschichte, fast 1000 Artikel für hallesche Zeitungen und
Zeitschriften sowie Periodicals. Insgesamt 1064 Veröffentlichungen - ein
erstaunliches Lebenswerk. Bereits als Gymnasiast schrieb er kleine
Erinnerungen und Gedichte. Im Laufe seines Lebens lassen sich mehrere
Schaffensperioden erkennen. Am Beginn standen literarisch-wissenschaftliche
Arbeiten:
+ Michael. Eine Kaiserbiografie der Zukunft
+ Charakterbildung, Gymnasium und Staat
+ Auch Einer. Ein Dank an meine Freunde.
Er verfasste zeitkritische Schriften. Mit Krauß aus Wien gab er eine
Sammlung über Volkserotik und Sexualität heraus: "Nichts Menschliches ist
mir fremd".
Ab 1910 widmete er sich der Geschichte. Es erschienen Arbeiten zum
Saalkreis:
+ Geschichte des Saalkreises
+ Wanderungen durch den Saalkreis
+ Arbeiten über die Dölauer Heide, Petersberg, Wettin und
Giebichenstein
Die "Wanderungen durch den Saalkreis" waren die Grundlage für seine
umfassende Arbeit auf dem Gebiet der Heimatforschung. Seine Hauptwerke
beschäftigen sich jedoch mit der Stadtgeschichte Halles:
+ Geschichte der Stadt Halle in 2 Bänden
+ Topografie oder Häuser- und Straßengeschichte der Stadt Halle
+ Die Stadt Halle - Entwicklung der Kulturgeschichte von den
ältesten Zeiten
bis zum 20. Jahrh.
+ Häusernamen und Hauswahrzeichen in Halle
Aus der Beschäftigung mit dem mittelalterlichen Halle entstanden auch Werke
über die Juden, z. B.
+ "Die Juden zu Halle im Mittelalter".
Schultze-Galléra hat sich große Verdienste um die Aufdeckung der Geschichte
und Kulturentwicklung von Halle und Umgebung erworben. In allen seinen
Werken wird ein lebendiges Wissensgut vermittelt, aus allen spricht
Heimatliebe und Heimatbegeisterung. Seine Arbeit war Dienst am Volke und an
seiner Heimat. Heute gibt es kein Werk vergleichbaren Ranges. Sein Name ist
ebenbürtig mit Namen wie Dreyhaupt oder Herzberg. In einer frischen und
lebendigen Sprache hat er festgehalten, was er auf Wanderungen und in
mühevoller Forschungsarbeit aufspürte. Schultze-Galléra wollte Wandel
dokumentieren, Entwicklungen plastisch machen. Seine Artikel im
„Heide-Boten” sind eine Fundgrube für all diejenigen, die sich mit der
Vergangenheit in unserem Gebiet beschäftigen.
Weiterführende Literatur: