DIE NIETLEBENER MÜHLE WIRD „120“
(QUELLE: D. SCHERMAUL, 2007)
Zur Geschichte des Ortes gehört neben der Kirche und der Kneipe auch die
Mühle. Nietleben hatte davon einst zwei. Die ältere – eine Bockwindmühle -
entstand etwa um das Jahr 1840 am Schnittpunkt der alten Poststraße und des
Feldweges zum Furnier- und Holzschneidewerk der Firma Graeb & Söhne
(Verlängerung der Passendorfer Straße).
Vor genau 120 Jahren, nämlich 1887, wurde die andere, eine
Holländer-Turmwindmühle, erbaut. Obwohl die Mühle heute in Halle-Neustadt
integriert ist, gilt sie immer noch als ein Wahrzeichen Nietlebens. Sie
besteht aus rotem Backstein und besitzt eine sich nach oben verjüngende
Form. Ursprünglich stand sie auf freiem Felde am Ende der Passendorfer
Straße. Erbaut wurde sie von einem gewissen Schad. Zum Zeitpunkt der
Gewerbeausstellung 1924 in Nietleben wurde sie von Karl Lange betrieben. Im
Adressbuch von 1928 und 1940 wurde Gustav Pötzsch als Besitzer ausgewiesen,
der die Mühle später an seinen Schwiegersohn Lindauer übergab.
In der Mühle konnten 3 t Schrot und 2,5 t Mehl pro Woche gemahlen werden.
Sie wurde aus den umliegenden Dörfern mit Getreide beliefert. Das Mehl
erhielten die in Nietleben, Passendorf und Zscherben ansässigen Bäcker. Auch
nach Halle kamen Lieferungen frisch gemahlenen Mehles. Neben Weizen- und
Roggenmehl sowie Gerstenschrot wurden auch sämtliche Futterartikel, z.B.
Hühnerfutter, hergestellt.
In Nietleben gab es in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts 7
Bäcker. 1785 existierten in Nietleben noch keine Bäckerei. Brot wurde im
Gemeindehaus gebacken. 1882 wurden 2 Bäcker (Brendel, Bubendey) genannt. Im
Jahre 1904 waren es schon 3 (Brendel, Bubendey, Bähle), 1915 bereits 4
(neben den genannten noch Knöfel). Bis 1928 erhöhte sich die Zahl der Bäcker
auf 7 (Adam, Brendel, Claus, Lohmann, Knöfel, Bubendey und Gerbel:
Nachfolger von Bähle). Von 1924 bis 1939 wurde in der Windmühle nur noch
geschrotet. Das Mehlmahlen wurde von einer elektrischen Mühle übernommen,
die im Wirtschaftsgebäude des Müllers neben der Wohnung untergebracht war,
das ca. 100 Meter von der Mühle entfernt stand. Ab 1939 diente die Mühle
lediglich noch als Lagerstätte für die elektrische Mühle. Schließlich wurde
der Mühlenbetrieb eingestellt. Die technisch perspektivlos gewordene Mühle
wurde nach der Denkmalpflegepraxis der DDR erhalten. Mit dem Bau von
Halle-Neustadt wurde sie in eine gastronomische Einrichtung umgebaut. Am 23.
Juli 1969 wurde sie als „Eselsmühle” mit der Funktion einer Gaststätte mit
108 Plätzen auf 3 Etagen eröffnet. Der Name rührte daher, dass der Mühle
eine Eselreitstation für Kinder angegliedert war. Die Esel waren im
Blockhaus untergebracht. Anfang der 1970er Jahre stand die Mühle noch auf
freiem Felde, denn Halle-Neustadt reichte zu jener Zeit gerade bis an die
Nietlebener Straße. An schönen Tagen pilgerten zahlreiche Hallenser
querfeldein zur Mühle, um sich an Imbiss und Getränken zu erfrischen oder
die Mühle einfach zu besichtigen. Der Idylle wurde durch einen Brand ein
Ende gesetzt. Als 1972 beschlossen wurde, die Anzahl der Wohngebiete in
Halle- Neustadt von 4 auf 8 zu erweitern, wurde das Gelände um die Mühle in
den Bebauungsplan einbezogen und nach Halle-Neustadt integriert. Die Mühle
blieb. Nun wurde sie in eine Wohngebietsgaststätte umgewandelt. Die
Neueröffnung erfolgte am 26. Oktober 1976 im rustikalen Ambiente. Die von
der HO bewirtschaftete Gaststätte erfreute sich großer Beliebtheit,
besonders für Brigade- und Familienfeiern. Vorbestellungen bis zu einem Jahr
im Voraus waren notwendig.
Nach der Wende fristete die Mühle jahrelang ein kümmerliches Dasein,
zeitweise war sie sogar geschlossen. Verfall drohte. Nach langer Zeit mit
ungewisser Zukunft hat sich doch ein privater Betreiber gefunden. Der Zahn
der Zeit hatte jedoch seine Spuren hinterlassen. Die Mühle erhielt eine neue
Chance, leider ohne Windrad. Die Plattenbauten, die sie einst zu erdrücken
drohten, sind mittlerweile verschwunden. Auch wenn die Mühle heute keine
historische Technik mehr enthält, ist sie doch wegen ihrer
lokalgeschichtlichen Aussage auch in Zukunft noch bedeutungsvoll. Ab 2006
erfolgte eine umfassende Sanierung der Mühle und des Umfeldes durch den
derzeitigen Betreiber.